Mit ihrem neuen Album haben sich Incubus nicht nur Freunde gemacht. Zu sehr haben sich die fünf US-Amerikaner auf „If Not Now, When?“ von ihren Funk-Rock-Wurzeln entfernt und den Weg in softere Gefilde eingeschlagen. Vielleicht ist das der Grund, warum die Kölnarena beim Auftritt im Rahmen ihrer Welttournee nicht einmal zur Hälfte gefüllt ist. Dabei hätte die Band es verdient, vor ausverkauftem Haus zu spielen, denn es wird ein mitreißender Abend, vor allem in der zweiten Hälfte.

Schon mit dem ersten Ton werden die Zuhörer vom Quintett mitgerissen, und das, obwohl sich in Incubus nicht gerade die kommunikativsten Künstler zusammengetan haben. Gitarrist Mike Einziger, bekannt für seine außergewöhnlichen Fingerfertigkeiten, hält sich weitgehend unauffällig am Bühnenrand und beschäftigt sich mit seinem Effektgerät. Bassist Ben Kenney mit Mütze und dunkler Brille konzentriert sich ebenfalls auf seinen Part, während José Pasillas am Schlagzeug unaufgeregt seinem Job nachgeht. Rastalocken-Träger Chris Gilmore, der die Turntables bedient, fällt da schon mehr auf. Scratch-Einlagen, ein auch aus dem Crossover bekanntes Stilmittel, sind seit der Debütplatte im Jahr 1995 essentieller Bestandteil der Incubus-Songs. Das geschickte Spiel mit den Schallplatten lässt sich auf der großen Leinwand im Bühnenhintergrund immer wieder verfolgen.

Frontmann Brandon Boyd ist das Aushängeschild und Gesicht von Incubus – und eindeutig auch ein Frauenschwarm. Das wird spätestens dann klar, als er unter Gekreische mit freiem Oberkörper an den Bühnenrand tritt. Mit seiner Mähne wirkt er optisch wie eine etwas hagere, in die Länge gezogene Version von Eddie Vedder. Er spricht nicht viel mit den Zuhörern, bedankt sich aber immer wieder gerne kurz bei ihnen, stolpert zunächst in einem löchrig weißen T-Shirt über die Bühne und singt hingebungsvoll ins Mikrofon. Währenddessen scheint er in anderen Sphären zu schweben, steht häufig seitlich zum Publikum und macht bei geschlossenen Augen ekstatische Verrenkungen.

Zu hören gibt es Material quer durch die sieben Alben umfassende Diskografie der Kalifornier, darunter auch einige aktuelle Nummern, die sich bestens ins Live-Set einpassen. Los geht es aber mit „Megalomaniac“ , der ersten Single des 2004er Albums „A Crow Left of the Murder…“, die dann mit hymnischer Strophe und krachendem Refrain auch gleich in die Vollen geht. Danach gibt es mit „Pardon Me“ schon arg früh eine der besten Incubus-Nummern überhaupt. Mit der Akustikversion von „Love Hurts“ scheint der Höhepunkt der Show bereits zur Halbzeit erreicht. Nur von Einziger an der Gitarre begleitet, hockt sich Boyd auf den Bühnenboden und wippt immer wieder auf und ab. In diesem Moment wird die Halle ganz klein und intim. Das Publikum lauscht gebannt und zeigt sich im Chor schließlich äußerst textsicher. Im Anschluss steigern sich Incubus noch einmal, vor allem zum Abschluss hauen sie mit „Nice to Know You“, dem mit Recht meistbejubelten Hit des Abends „Drive“ und „Wish You Were Here“ ein bärenstarkes Song-Trio raus.

Nicht nur danach, sondern während des gesamten Auftritts ist nichts davon zu spüren, dass mancher Sitzplatz und auch der Innenbereich an einigen Stellen frei blieben: Die Band wird zu Recht lautstark gefeiert. Noch vor den Zugaben haben Incubus in gut anderthalb Stunden alles, was songtechnisch Rang und Namen hat, durch die Lautsprecher gejagt. Die Zugaben braucht es dann schon eigentlich gar nicht mehr.

(erschienen am 21.11.2011 im Westfälischen Anzeiger)