KISS / Dortmund / 12.5.2017

Rund 12.000 Fans haben in der ausverkauften Westfalenhalle ein Hardrock-Fest gefeiert: Nach ihrer Tour-Absage im vergangenen Jahr fanden die Musiker von Kiss mittlerweile den Weg über den großen Teich und spielten das erste von vier Deutschland-Konzerten im Rahmen der „Kissworld 2017“.

Wenn ein Mitsechziger sich das Gesicht weiß schminkt, einen schwarzen Stern ums Auge malt, mit einem Pailletten besetzten Bauchfrei-Top und glitzernden Plateaustiefeln im Supermarkt auftauchen würde, könnte das für Irritationen sorgen. Heißt der Mann aber Paul Stanley, ist Leadsänger der Band Kiss und wird er gerade von einer Hebebühne aus luftiger Höhe auf die Bühne der Dortmunder Westfalenhalle hinabgelassen, dann kennt die Ekstase keine Grenzen.

Rund 12.000 Fans sind gekommen, um die Band nun endlich doch noch live zu sehen. Eigentlich hätte das Dortmunder Konzert bereits im vergangenen Jahr stattfinden sollen. Es fiel aus – wegen Sicherheitsbedenken. Die Lage in Europa hat sich seitdem nicht sonderlich verbessert. Das Quartett, zu dem noch Schlagzeuger Eric Singer alias „The Catman“ gehört, ist jetzt trotzdem da und verwandelt die in die Jahre gekommene, an diesem Abend ausverkaufte Westfalenhalle in ein Tollhaus.

In Sachen Selbstdarstellung sind Kiss einzigartig. Während in großen Lettern das Bandlogo von den Bildschirmen an der Decke und im Hintergrund grell aufleuchtet, suchen die Musiker in dichten Nebelschwaden gleich die Bühnenspitze und posieren, was das Zeug hält. Paul Stanley geht in die Knie und bearbeitet seine Schwarz-Rot-Gold glänzende Gitarre. Nimmermüde legt er sich Plektren auf die Zunge und spuckt sie ins Publikum genauso wie er unzählige weitere Plastikhelferchen für die Finger schnippend unters Volk bringt.

Zu „Psycho Circus“ schwebt der 65-Jährige per Seilbahn auf ein Podest in die Hallenmitte. Zuvor müssen die Fans ihn aber bitten und seinen Namen rufen. „Ich kenne mich mit gutem Benehmen aus, denn meine Mutter stammt aus Deutschland“, jauchzt der aufgekratzte Stanley mit verstellter Stimme. Gene Simmons ist alles andere als gesprächig. Er setzt mehr auf seine berühmten Grimassen und stapft mit den klobigen, silbrig glitzernden und mit Monsterfratzen versehenen Plateauschuhen wie Godzilla durch Tokio. Mit 67 trägt er noch Spandex-Hosen – so wie es sich für „The Demon“ gehört. Stachelige Schulterpolster und metallisch glänzende Beinschoner lassen ihn wie ein imposantes vorzeitliches Ungetüm erscheinen.

Später lässt er Kunstblut aus seinem Mund rinnen, während er ein donnerndes Bass-Intermezzo spielt. An Seilen festgeknüpft wird Simmons auf eine Plattform unterhalb des Hallendachs gezogen und singt von dort das schleppende „God of Thunder“, während ihm, umgeben von glühendem Scheinwerferlicht, der Schweiß über die wasserfeste Schminke fließt. Im Gegensatz dazu ist Tommy Thayers Auftritt fast schon zurückhaltend. Immerhin darf er im schwarzen Ganzkörperanzug Funken aus seinem Gitarrenkopf schießen.

Musikalisch gibt es einen Querschnitt durch das mit 20 Alben äußerst umfangreiche Schaffen der Band aus New York. „I Love It Loud“ eignet sich bestens zum Mitsingen und ist ein echter Partyhit. Skandieren lässt sich auch bei „Flaming Youth“ hervorragend. „Crazy Crazy Nights“ bietet grandiose Ohrwurmqualitäten, „Say Yeah“ ist klassischer Glamrock und „Black Diamond“ eine starke Hymne. Und selbstverständlich gibt es mit „Rock And Roll All Nite“ und „I Was Made for Lovin‘ You“ auch die beiden größten Hits der Band zu hören.

Zum großen Finale fahren Kiss gigantische Geschütze auf: Aus vollen Rohren werden tonnenweise Papierschnipsel und Girlanden in die Menge geschossen. Es brennt und knallt an allen Ecken und Kanten. Simmons und Thayer besteigen Körbe und fahren von Kranarmen getragen über die Köpfe der Zuschauer im Innenraum hinweg. Und am Schluss zerschlägt Paul Stanley dann noch seine Gitarre. Das ist Rock ‘n‘ Roll! Yeah!