B.B. King / Düsseldorf / 16.7.2012
Es gibt Musiker, die auch noch im betagten Alter auf der Bühne stehen und denen man am liebsten zurufen würde, doch endlich die Reißleine zu ziehen und die Karriere zu beenden, bevor es peinlich wird. B.B. King gehört definitiv nicht zu dieser Gruppe. Die 86-jährige Blues-Legende macht auf seiner Tour Station in der Düsseldorfer Philipshalle und beweist, dass man auch im Sitzen 2000 Mann locker um den Finger wickeln kann.
Es ist vor allem die Aura, die den auf einer Baumwollplantage im US-Bundesstaat Mississippi geborenen Südstaatler umgibt. Da braucht es nicht viel Tamtam drumherum. Es reichen ein Stuhl, ein Mikro und die schwarze Gibson-Gitarre „Lucille“. Dass der Blues-Meister in die Halle geführt werden muss und im grellen Licht kaum etwas sieht, kratzt da niemanden. Auch nicht, dass Kings Handgriffe an der Gitarre übersichtlich verteilt sind und der Entertainer mehr redet, als dass er singt. Beinahe demütig lauschen die Zuhörer der festen Stimme und blicken gebannt auf Kings legendäre Finger, wie sie über die Gitarrensaiten gleiten, und auf sein immer wieder aufkeimendes inbrünstiges Mienenspiel.
Lange wollen sich die Fans nicht zurückhalten. Im Rhythmus klatschend beginnen sie, die Blues-Ikone zu begleiten. Die wiederum ruft immer wieder ins Publikum und bekommt schallende Antworten zurück. Das mag er, da lacht er. So erhält der Abend etwas von einem Gospel-Gottesdienst – wenn auch einem etwas zügellosen: „Wackelt mit euren Hintern, wenn ihr mögt!“ – Das ist einer von Kings liebsten Ausrufen. Am schönsten könne im Übrigen James „Boogaloo“ Bolden sein Gesäß bewegen, der gewichtige Trompeter, dem schon nach wenigen Minuten dicke Schweißperlen auf der Stirn stehen. Natürlich ist das eine Aufforderung an den Instrumentalisten – mit einem schelmischen Lächeln unterlegt. Und Bolden tut, wie ihm geheißen. Die Menge johlt.
Nicht nur an der Gitarre ist King ein Meister, sondern auch im Grimassenschneiden und Herumwitzeln ist er sehr talentiert. Mit dem Alter habe er keine Probleme, sagt er. „Ich bin 86 Jahre alt. Aber ich fühle mich jünger. So wie 84.“
B.B. King zur Seite steht nur optisch eine achtköpfige Altherrenriege. Die Mitglieder seiner Band, allesamt in edlem Zwirn gekleidet, sind begnadete Instrumentalisten. Bevor King zum dritten Song des Abends die Bühne betritt, stimmen die Musiker die Zuhörer mit ausgiebigen und technisch brillanten Soli ein.
Nicht einmal ein Dutzend Songs schaffen es an diesem Abend ins Set. Umso komplexer und ausufernder werden die Titel eingekleidet, etwa das auf rund 15 Minuten ausgedehnte und morbide „See That My Grave Is Kept Clean“ des Blues-Sängers Blind Lemon Jefferson. Das Genre-Standardwerk „Every Day I Have the Blues“ von Memphis Slim spielt King ebenso wie Jimmie Davis‘ Klassiker „You Are My Sunshine“, bei dem sich die Zuhörer als Chor beweisen. Mit der Gospelnummer „When the Saints Go Marchin‘ In“ beschließt B.B. King das Konzert nach rund anderthalb Stunden.
Ein Ende ist da aber noch lange nicht in Sicht. Stattdessen bekommt der Auftritt des 86-Jährigen wider Erwarten noch etwas von einem Teenie-Konzert. Als die Blues-Legende Prinz Karneval spielt und händeweise kleine Andenken über die ersten Stuhlreihen verteilt, stolpern und fallen plötzlich 50-jährige Fans übereinander, während sie zur Bühne stürmen. Da sammelt sich eine große Traube, rufend, flehend, winkend. B.B. King genießt das Chaos sichtlich. Er kennt sich mit solchen Dingen aus. Er ist erfahren.