Der 1. Advent bringt ungemütliches Wetter mit sich. Vor der Mitsubishi Electric Halle stehen die letzten Besucher in dicke Parkas gehüllt und warten auf Einlass. Die Raucher hüpfen währenddessen für eine Zigarettenlänge von einem Bein aufs andere. Drinnen ist es mollig warm. Dicht an dicht drängeln die Fans, um von ihren Helden Biffy Clyro, den Alternativ-Rockern der Stunde, möglichst viel zu erhaschen, und das Trio macht es wie eh und je: oberkörperfrei. Das gehört sich so bei den Schotten.

Damit da oben auf der Bühne vor Kälte auch keine Gänsehaut aufkommt, legt die Band von Beginn an los, als gelte es, lediglich ein paar Minuten unter Dauerbelastung auszuhalten und nicht rund 100 mehr. Jogi Löw würde ob der Konditionseinteilung die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Doch, keine Sorge, Biffy Clyro wissen, was sie tun – allen voran Sänger Simon Neil, der Zottel mit dem Rauschebart, der optisch an den „Mann aus den Bergen“ erinnert, von der Gemütlichkeit eines James Grizzly Adams aber meilenweit entfernt ist, wenn er Kung-Fu-Tritte vollführend, sich verbiegend und wild umherhüpfend an seinem Instrument in Ekstase schrammelt.

Die Fans wissen die Aufopferung der Band zu schätzen und wollen den Musikern in nichts nachstehen. Schon nach wenigen Minuten werden die ersten Anhänger auf Händen nach vorne Richtung Graben getragen, Klammotten werden durch die Luft geschleudert, und „Biffy-Clyro“-Sprechchöre gibt es nach jedem Song obendrauf. „Ihr seid fantastisch“, bedankt sich Simon Neil. Der 34-Jährige hat ein paar deutsche Sätze drauf. Das kommt gut an.

Ebenso wie das musikalische Programm an diesem Abend: Dem aktuellen Doppelalbum „Opposites“ wird der meiste Raum zugestanden, aber auch der Song-Fundus der zuvor bereits erschienenen fünf Platten wird durchforstet. Eines haben die Longplayer allesamt gemein: Sie sprühen über vor einem Gespür für traumhafte Melodien, egal ob sie spartanisch verpackt daherkommen und auf Einfachheit setzen wie im Knaller-Hit „God & Satan“ oder sich aus einem scheinbar chaotischen Gitarren-Donnerwetter hervorschälen wie in „Modern Magic Formula“.

„Accident Without Emergency“ hat Folkloristisches im Blut und einen beneidenswerten Chorus. Biffy Clyros „Bohemian Rapsody“ trägt den Namen „Living Is a Problem Because Everything Dies“, setzt sich aus verschiedenen Versatzstücken zusammen und brilliert mit vertrackter Struktur. „Biblical“ mit seinem hymnischen Refrain steht stellvertretend für eine Band, die eigentlich zu groß ist für eine Hallenbühne: Sie dürstet nach Stadion.

„The Captain“ beginnt brachial und geht in einen berechnend komponierten Refrain über, der mit Mitsing-Aufforderung und Oh-oh-Teil die gewünschte Wirkung beim Publikum nicht verfehlt. Bei „Bubbles“ mutiert die Menge zu einem riesigen springenden Gummiball, der die Strapazierfähigkeit des Hallenbodens bis aufs Äußerste prüft. Wadenkrämpfe sind vorprogrammiert. Sänger Simon Neil dagegen wird es irgendwann mit seinem Rücken zu tun bekommen, so wie er es offensichtlich liebt, als Rumpelstilzchen herumzuhampeln.

Erstmals richtig sanft geht es bei den beiden Akustiknummern „The Rain“ und „Folding Stars“ zu, bei denen bis auf Neil alle Musiker eine Verschnaufpause bekommen, während der Sänger alleine im gleißenden Spot die Gitarrensaiten zupft und gemessen an der Zahl der Hobbyfilmer im Saal in den kommenden Tagen zum Youtube-Star avancieren dürfte.

„Black Chandelier“, das schon jetzt auf dem Weg ist, einmal ein Klassiker seines Genres zu werden, hat seinen Slot kurz vor Schluss. Da kann jeder mitsingen, ebenso wie bei „Opposite“ und „Mountains“ als Zugaben. Da ist sie noch einmal, diese wohlige Melodienwärme, ehe sich die Türen der Mitsubishi Electric Halle wieder öffnen und der steife Wind ins Innere bläst, während sich die Fans schweißnass und glücklich auf den nassen Asphalt drängen.